Inwieweit Flugpassagiere Anspruch auf eine Ausgleichszahlung haben, wenn sich Flüge aufgrund eines wilden Streiks bei einer Fluggesellschaft verspäten oder ganz entfallen, zeigt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Ein wilder Streik des Flugpersonals, der Folge einer überraschenden Ankündigung einer Umstrukturierung ist, stellt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung dar. Er erlaubt es einer Fluggesellschaft daher nicht, sich von ihrer Verpflichtung zu befreien, Ausgleichszahlungen bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen zu leisten, so der Europäische Gerichtshof in einer Entscheidung (Az.: C-195/17 und 21 andere).

Nachdem das Management einer Fluggesellschaft überraschend Pläne zur Umstrukturierung des Unternehmens angekündigt hatte, meldeten sich nach einem von ihnen selbst verbreiteten Aufruf einen Tag später zahlreiche Mitarbeiter krank. Konkret waren es knapp 90 Prozent des Cockpitpersonals sowie 60 Prozent des Kabinenpersonals. Das hatte zahlreiche Flugausfälle sowie etliche Verspätungen von drei Stunden und mehr zur Folge.

Die Situation beruhigte sich erst, nachdem es eine Woche später zu einer Einigung zwischen dem Management und dem Betriebsrat des Unternehmens gekommen war. Die Forderung einiger betroffenen Passagiere, eine Ausgleichszahlung nach den Bestimmungen der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung zu erhalten, wurde von der Fluggesellschaft zurückgewiesen.

Kein außergewöhnlicher Umstand

Die Fluggesellschaft war nämlich der Ansicht, dass es sich bei dem wilden Streik um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne der Verordnung gehandelt habe, für den keine Zahlungen an die betroffenen Fluggäste zu leisten seien. Mehrere Fluggäste verklagten daraufhin die Fluggesellschaft auf eine Ausgleichszahlung. Während unter anderem das Amtsgericht und Landgericht Hannover noch die Ansicht der Fluggesellschaft teilten, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) anders.

Der EuGH stellte auf Anfrage der Amtsgerichte Hannover und Düsseldorf fest, dass die Forderung der klagenden Passagiere berechtigt ist. Nach Ansicht der EUGH-Richter fällt eine spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flugpersonals in Gestalt eines wilden Streiks nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“. Voraussetzung sei jedoch unter anderem, dass der Streikaufruf nicht von den Arbeitnehmervertretern wie einer Gewerkschaft verbreitet wird, sondern von den Arbeitnehmern selbst, die sich im Fall der Kläger krankgemeldet hatten.

Auf einen „außergewöhnlichen Umstand“ könne sich eine Fluggesellschaft im Übrigen nur unter folgenden Bedingungen berufen: Erstens darf der Umstand seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft und zweitens von dem Luftfahrtunternehmen nicht tatsächlich beherrschbar sein. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs wurde im Fall der Kläger keine dieser beiden Bedingungen erfüllt.

Normale betriebswirtschaftliche Maßnahmen

Umstrukturierungen gehörten zu den normalen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen von Unternehmen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass es in derartigen Fällen zu Meinungs-Verschiedenheiten und Konflikten mit der Belegschaft komme.

Die Maßnahmen seien daher als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der beklagten Fluggesellschaft anzusehen. Zum anderen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Streik letztlich nicht von dem Luftfahrtunternehmen beherrschbar gewesen sei.

Denn abgesehen davon, dass er auf dessen Entscheidung zurückzuführen gewesen sei, sei es relativ kurzfristig zu einer Einigung zwischen den streitenden Parteien gekommen. Darauf, dass es sich um einen wilden Streik gehandelt hatte, der offiziell nicht von einer Gewerkschaft organisiert wurde, kommt es nach Meinung der Richter nicht an.

Nicht abhängig von arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften

„Denn würde zur Klärung der Frage, ob Streiks als außergewöhnliche Umstände im Sinne der Verordnung über die Fluggastrechte einzustufen sind, darauf abgestellt, ob sie nach dem einschlägigen nationalen Recht rechtmäßig sind oder nicht, hätte dies zur Folge, dass der Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichszahlung von den arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats abhinge“, so der Europäische Gerichtshof.

Das Gericht betonte weiter: „Dadurch würden die Ziele dieser Verordnung beeinträchtigt, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sowie harmonisierte Bedingungen für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in der Union sicherzustellen.“ Übrigens: Die wichtigsten Rechte für Reisende werden unter anderem in den Webportalen der Europäischen Kommission und des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland (EVZ) aufgeführt.

Hier wird auch ersichtlich, dass es für Flugverspätungen oder -ausfällen aufgrund eines von Arbeitnehmervertretern wie einer Gewerkschaft angesagten Streiks keine Entschädigungs-Leistungen für die betroffenen Passagiere gibt. Allerdings haben Betroffene je nach Flugverspätung Anspruch auf eine anderweitige oder spätere Beförderung, eine Verpflegung, eventuell eine Hotelunterbringung oder auch eine Erstattung des Ticketpreises.

Quelle: (verpd)

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.
Datenschutzerklärung Verstanden