Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Frage befasst, ob nach einem Autounfall ein Geschädigter für seinen beschädigten Pkw zuerst ein Restwertangebot des gegnerischen Versicherers abwarten muss, ehe er das betreffende Fahrzeug verkaufen darf.

Ein Geschädigter ist dazu berechtigt, sein bei einem Unfall beschädigtes Fahrzeug zu dem von einem Sachverständigen ermittelten Restwert zu veräußern, ohne zuvor ein Restwertangebot des gegnerischen Versicherers abwarten zu müssen. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden (Az.: VI ZR 673/15).

Üblicherweise muss bei einem Kfz-Unfall mit zwei Pkws, die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers für den beschädigten Pkw des Unfallgegners, beziehungsweise für die notwendigen Reparaturkosten aufkommen. Bei einem Totalschaden gilt etwas anderes: Ist eine Reparatur des beschädigten Autos unwirtschaftlich, muss der Kfz-Versicherer des Unfallverursachers lediglich den Wiederbeschaffungswert, also den Kaufpreis, den man für ein nach Alter und Zustand gleichwertiges Kfz-Modell vor der Beschädigung hätte zahlen müssen, erstatten.

Zudem wird vom Wiederbeschaffungswert der sogenannte Restwert, also der Wert, den der geschädigte Unfallgegner beim Verkauf seines demolierten Autos noch erzielen kann, abgezogen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gilt eine Reparatur als unwirtschaftlich, wenn die Reparaturkosten mehr als 130 Prozent des Wertes, den ein vergleichbares unbeschädigtes Fahrzeug kosten würde (Wiederbeschaffungswert), betragen.

Differenzen bei der Restwerteinschätzung

Auch in dem vor dem BGH verhandelten Gerichtsfall war ein Pkw eines Mannes bei einem Verkehrsunfall in erheblichem Maße beschädigt worden, sodass es sich um einen Totalschaden handelte. Über die alleinige Verantwortung des Unfallgegners bestand kein Streit. Uneinigkeit gab es jedoch in der Frage, ob der Kfz-Besitzer des beschädigten Autos dieses zu dem von ihm beauftragten Sachverständigen ermittelten Restwert veräußern durfte oder ob er zuvor ein Restwertangebot des gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherers hätte abwarten müssen.

Der Kfz-Besitzer hatte sein Auto nämlich kurz nach Erhalt des Gutachtens an einen regionalen Händler für 11.000 Euro verkauft. Das entsprach in etwa der Kalkulation des Sachverständigen, der auf Grundlage von vier auf dem regionalen Markt eingeholten Angeboten einen Restwert von 10.750 Euro ermittelt hatte.

Zwei Tage nach dem Verkauf meldete sich der gegnerische Versicherer. Der unterbreitete dem Besitzer des beschädigten Pkws mehrere deutlich höhere Angebote für sein Auto. Darunter befand sich die verbindliche Offerte eines nicht ortsansässigen Händlers, der für das Fahrzeug 20.090 Euro bot. Diesen – und nicht etwa den von dem Kfz-Besitzer tatsächlich erzielten Betrag – machte der Versicherer zur Grundlage seiner Schadenregulierung. Dagegen wehrte sich der Kfz-Besitzer gerichtlich.

Kein Verstoß gegen Wirtschaftlichkeitsgebot

Der zuletzt angerufene Bundesgerichtshof gab der Klage auf Zahlung des dem Kläger vorenthaltenen Differenzbetrages statt. Nach Ansicht der Richter hat der Kläger bei dem Verkauf seines Fahrzeugs nicht gegen das von ihm zu beachtende Gebot der Wirtschaftlichkeit verstoßen. Denn der von ihm erzielte Preis lag, wenn auch nur geringfügig, sogar über dem von dem Sachverständigen für den regionalen Markt ermittelten Restwert.

Angesichts der Tatsache, dass der Gutachter nachweislich bei vier verschiedenen Unternehmen des regionalen Markts Restwertangebote eingeholt hatte, habe für den Kläger auch keine Veranlassung bestanden, dem Gutachten zu misstrauen. „Ein Geschädigter ist auch weder dazu verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigen-Gutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen.

Noch ist er gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote vorzulegen“, so der BGH.

In eigener Regie

Dass bei der Schadenregulierung grundsätzlich auf den regionalen Markt abzustellen sei, hat nach Aussage der Karlsruher Richter folgenden Hintergrund: Einem Geschädigten müsse es möglich sein, sein Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzwagens in Zahlung geben zu können. Dass, wie von dem beklagten Versicherer behauptet, inzwischen der Fahrzeughandel über Online-Gebrauchtwagenbörsen üblich sei, ändere daran nichts.

Die Richter hielten es zwar nicht für ausgeschlossen, dass Versicherer gegebenenfalls besonders darin gewieft sind, an hohe Restwertangebote zu gelangen. Das ändere aber nichts an der einem Geschädigten vom Gesetzgeber eingeräumten Möglichkeit, die Behebung eines Schadens unabhängig vom Schädiger in eigene Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen.

„Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadenrechtlich grundsätzlich für verpflichtet an, vor der von ihm beabsichtigten Schadenbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen“, heißt es dazu in der Entscheidung des BGH.

Kostenschutz im Streitfall

Zudem bleibe es den Versicherern unbenommen, im Rahmen einer möglichst frühzeitigen Kontaktaufnahme zum Beispiel durch wirtschaftliche Anreize darauf hinzuwirken, dass Geschädigte die Verwertung ihres beschädigten Fahrzeugs freiwillig in deren Hände legen, so das BGH.

Der Fall wäre nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2010 möglicherweise anders entschieden worden, wenn der Versicherer dem Kläger das höhere Restwertangebot vor der Veräußerung seines Fahrzeugs unterbreitet hätte.

Übrigens, wenn ein Pkw-Besitzer eine Verkehrsrechtsschutz-Police hat, kann er ohne Kostenrisiko sein Recht vor Gericht gegenüber dem Unfallgegner und dessen Kfz-Versicherung einfordern. Denn die Police deckt unter anderem die für die Durchsetzung von berechtigten Schadenersatzansprüchen notwendigen Anwalts-, Gerichts- und sonstigen Prozesskosten ab, wenn Aussichten auf Erfolg besteht und der Versicherer für den Fall eine Deckungszusage erteilt hat. Die Kostenübernahme erfolgt zudem unabhängig davon, ob der Prozess gewonnen oder verloren wird.

Besonders ärgerlich für Neuwagenbesitzer

Besonders ärgerlich ist ein Totalschaden für den Inhaber eines Neuwagens. Denn auch hier zahlt die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners in der Regel nur den Wiederbeschaffungswert (Zeitwert) abzüglich des Restwertes. Laut Rechtsprechung gibt es meist nur für Neuwagen, die nicht älter als vier Wochen sind und maximal 1.000 Kilometer gefahren wurden, eine Neupreisentschädigung. Der zustehende Zeitwert liegt jedoch bereits wenige Monate nach dem Kauf eines Neuwagens um einige Prozente unter dem damals gezahlten Anschaffungspreis.

Wer einen fabrikneuen Wagen besitzt, sollte daher darauf achten, dass er eine Vollkasko-Versicherung mit einer sogenannten Neupreis- oder auch Neuwertklausel abschließt. Je nach Vereinbarung wird dann bei einem Unfall, egal ob selbst oder durch einen anderen verursacht, der Neuwert nach einem Totalschaden, welcher sich bis zu sechs, zwölf oder auch 24 Monate nach dem Kauf ereignet, auf Wunsch erstattet.

Denn auch wenn der Schaden von einem anderen verursacht wurde, kann man die Leistung der Vollkasko-Versicherung, abzüglich der Leistung der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung, in Anspruch nehmen. Allerdings kommt es dann zu einer Schlechterstellung des Vollkasko-Schadenfreiheitsrabatts. Man sollte sich daher vorab beim Versicherer erkundigen, ob es sich lohnt, die eigene Kaskoversicherung in Anspruch zu nehmen.

Quelle: (verpd)

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