In welchen Fällen ein Kfz-Fahrer, der auf eine hinsichtlich der Vorfahrt nicht beschilderten Straßenkreuzung zufährt, seine Geschwindigkeit vermindern muss, zeigt ein Gerichtsurteil.

Der Grundsatz, dass sich Verkehrsteilnehmer Kreuzungen, an denen die Vorfahrt nicht mit Schildern geregelt ist, mit mäßiger Geschwindigkeit zu nähern haben, gilt nicht uneingeschränkt. Das hat das Kammergericht Berlin in einem Gerichtsverfahren entschieden (Az.: 29 U 45/15).

Ein Mann hatte mit seinem Pkw im Bereich einer Kreuzung, in welcher die Regel „rechts vor links“ gilt, die Vorfahrt eines von rechts kommenden Autos missachtet, worauf es zu einer Kollision kam. Der Unfallverursacher beziehungsweise dessen Kfz-Versicherer stellten zwar nicht in Abrede, dass er überwiegend für den Unfall verantwortlich war. Sie waren jedoch der Meinung, dass der Halter des gegnerischen Fahrzeugs zumindest aus dessen Betriebsgefahr hafte.

Denn der Unfall hätte vermieden werden können, wenn sich das von rechts gekommene Auto der Kreuzung mit mäßiger Geschwindigkeit genähert hätte. Weil dessen Fahrer ebenfalls auf von rechts kommende Fahrzeuge hätte achten müssen, wäre er nach Meinung des Unfallverursachers und seines Kfz-Versicherers hierzu verpflichtet gewesen.

Ja, aber …

Doch dem wollten sich weder das Berliner Landgericht noch das vom Kfz-Versicherer des Unfallverursachers in Berufung angerufene Kammergericht der Stadt anschließen. Beide Instanzen hielten die Klage für unbegründet.

Nach Ansicht der Richter darf ein Vorfahrtsberechtigter grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein Wartepflichtiger seine Vorfahrt beachtet. Daher trete im Fall einer Vorfahrtsverletzung grundsätzlich die einfache Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs hinter dem Verschulden des Wartepflichtigen zurück. Dieser Grundsatz gelte allerdings im Bereich von Kreuzungen, bei denen die Regel „rechts vor links“ anzuwenden sei, nur eingeschränkt.

Denn jeder die Kreuzung befahrende Verkehrsteilnehmer habe nicht nur gegenüber den von links kommenden Fahrzeugen Vorfahrt. Er habe vielmehr selbst auch die Vorfahrt der von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern zu beachten mit dem Ergebnis, dass er sich der Kreuzung nur mit mäßiger Geschwindigkeit nähern dürfe.

Eine Frage der Übersichtlichkeit

Diese als „halbe Vorfahrt“ bezeichnete Situation diene nicht zuletzt dem Schutz von links kommender Wartepflichtiger, so das Gericht. Komme es zu einem Unfall mit einem Wartepflichtigen, weil ein Verkehrsteilnehmer mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in eine solche Kreuzung einfährt, so hafte er gegebenenfalls tatsächlich mit der einfachen Betriebsgefahr seines Fahrzeugs.

Diese Regel gilt nach Ansicht beider Instanzen jedoch nicht in Fällen, in denen die Kreuzung für einen Vorfahrtsberechtigten weit genug einsehbar ist, sodass er selbst bei unverminderter Geschwindigkeit ohne Probleme feststellen kann, ob sich von rechts ein Fahrzeug nähert.

In einem solchen Fall darf er auf sein Vorfahrtsrecht vertrauen und die Kreuzung ohne Verringerung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit passieren. Da sich der Unfall an genau solch einer Kreuzung ereignet hatte, geht die Klägerin leer aus. Die Richter ließen kein Rechtsmittel gegen ihre Entscheidung zu.

Quelle: (verpd)

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