Nicht immer fährt ein Arbeitnehmer von seinem Wohnort aus in die Arbeit. Inwieweit er auch in diesen Fällen auf dem Arbeitsweg unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, verdeutlicht ein Gerichtsurteil des Bundessozialgerichts.

Wegeunfälle sind in der gesetzlichen Unfallversicherung auch dann versichert, wenn sich ein Beschäftigter nicht von seiner Wohnung aus, sondern von einem anderen Ort zur Arbeit begibt. Voraussetzung ist allerdings, dass er sich dort zuvor mindestens zwei Stunden aufgehalten haben muss – so das Bundessozialgericht in einem diesjährigen Urteil (Az.: B 2 U 20/18 R).

Ein Arbeitnehmer war bei einer gemeinnützigen GmbH in der Personenbeförderung tätig. Er holte als Fahrer am frühen Morgen Teilnehmer an Maßnahmen von zu Hause ab und brachte sie zum Betrieb seines Arbeitgebers. Seine Tätigkeit beendete er regelmäßig um 9 Uhr. Ab 15.30 Uhr holte er die Teilnehmer dann wieder ab und brachte sie nach Hause. So auch im Oktober 2015. Nach seiner Morgenschicht hielt er sich bis zum Beginn seines Nachmittagsdienstes jedoch nicht in seiner Wohnung, sondern in der eines Freundes auf.

Mit dem aß er gemeinsam zu Mittag und übernahm für ihn Erledigungen. Als er sich anschließend mit seinem Motorrad auf den direkten Weg zu seiner Arbeitsstätte begab, um seine Nachmittagsschicht anzutreten, verunglückte er. Wegen der Folgen des Unfalls wollte er Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung von der für ihn zuständigen Berufsgenossenschaft (einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung) in Anspruch nehmen. Doch die verweigerte dies.

Zu lange Wegstrecke?

Die Berufsgenossenschaft argumentierte, dass er nur dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hätte, wenn sich der Unfall auf dem Weg von seiner eigenen Wohnung zu seiner Arbeit ereignet hätte. Der Versicherte wollte daraufhin seine Leistungsansprüche gerichtlich durchsetzen. Doch vor Gericht erlitt er sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz eine Niederlage.

Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass es sich unter anderem deswegen um keinen versicherten Wegeunfall gehandelt habe, weil der Weg von dem Freund des Klägers zur Arbeit mehr als dreimal so lang gewesen sei wie der von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte. Versicherungsschutz würde jedoch nur dann bestehen, wenn die Länge des Weges in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise von der Wohnung zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg stände.

Denn sei der Weg zum oder von einem dritten Ort unverhältnismäßig länger als von der Wohnung zum oder vom Ort der Tätigkeit, werde die erheblich längere Wegstrecke grundsätzlich nicht durch die beabsichtigte oder beendete betriebliche Tätigkeit geprägt. Dieser Argumentation wollten sich die Richter des Bundessozialgerichts nicht anschließen. Sie gaben der Revision des Verunglückten gegen die Entscheidung der Vorinstanz statt.

Keine Festlegung zum Startort des Arbeitsweges

Als der Kläger auf dem direkten Weg zwischen der Wohnung seines Freundes und seiner Arbeitsstätte verunglückte, habe seine Handlungstendenz unstreitig darin bestanden, seine Nachmittagsschicht anzutreten. Es habe sich daher um einen Wegeunfall gehandelt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Mann nicht von seiner Wohnung aus gestartet war.

Denn grundsätzlich könne ein versicherter Weg zur Arbeitsstätte im Sinne von Paragraf 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII (Siebtes Sozialgesetzbuch) auch von einem anderen Ort als der eigenen Wohnung angetreten werden. Das Gesetz würde als Zielort zwar den Ort der versicherten Tätigkeit festlegen. Den Startort würde es jedoch offen lassen. Es sei auch unerheblich, aus welchen Gründen sich ein Versicherter vor Beginn seiner Arbeit an einem anderen Ort als seiner Wohnung aufgehalten habe.

Auch auf das Verhältnis der Entfernung zwischen dem dritten Ort und der Wegstrecke zwischen der eigenen Wohnung eines Beschäftigten zur Arbeitsstätte komme es nicht an. Maßgeblich sei vielmehr ausschließlich, dass sich ein Versicherter mindestens zwei Stunden an dem dritten Ort aufgehalten haben müsse, um auf dem Weg zur Arbeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu stehen. Das sei in der entschiedenen Sache nachweislich der Fall gewesen.

Änderung bei der rechtlichen Bewertung

Nach dem genannten aktuellen Urteil des BSG spielt es entgegen früheren Gerichtsurteilen keine Rolle, wie weit der Weg zwischen Startort und Arbeitsstelle ist, sofern sich der Beschäftigte mindestens zwei Stunden an dem Startort aufgehalten hat. Dies gilt selbst dann, wenn der sonst übliche Arbeitsweg vom Wohnort zur Arbeitsstelle deutlich kürzer wäre, was in früheren Rechtsentscheidungen unter Umständen noch ausschlaggebend für den Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung war.

Prinzipiell gilt jedoch weiterhin, nicht jeder Umweg ist gesetzlich unfallversichert. Insgesamt ist zudem die Mehrheit der Unfälle, nämlich die, die sich zu Hause beziehungsweise in der Freizeit ereignen, gar nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt. Zudem haben die meisten Selbstständigen keinen Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung, also auch nicht während der Berufsausübung oder auf dem Arbeitsweg.

Und selbst wenn bei Arbeitnehmern, Schülern und Studenten die gesetzliche Unfallversicherung bei bestimmten Unfällen greift, reichen die entsprechenden Leistungen häufig nicht, um unfallbedingte Zusatzkosten und/oder Einkommenslücken ausreichend abzudecken. Die privaten Versicherer bieten diesbezüglich diverse für den individuellen Bedarf passende Lösungen an, um nach einem Unfall trotz eines möglichen fehlenden oder unzureichenden gesetzlichen Unfallschutzes finanziell ausreichend abgesichert zu sein.

Quelle: (verpd)

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